Aktueller Lagebericht der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau des VDMA

Stagnation oder Krise? Eine Einschätzung der 1155PM consultants GmbH.

 

14.04.2016. Der vor kurzem vorgestellte Lagebericht der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) kommt zu einer differenzierten Bewertung der aktuellen Lage des deutschen Großanlagenbaus. Einerseits war man im Jahre 2015 in der Lage, das  Ergebnis des Vorjahres zu halten. Angesichts niedriger Rohstoffpreise und einer schwachen Weltkonjunktur kann dies sogar als Erfolg betrachtet werden. Allerdings verdichten sich die Anzeichen, dass die zu beobachtende Stagnation mittelfristig zu Verlusten der Marktanteile führen kann.

 

Wenn man allein die Zahlen betrachtet, müssten die Maschinenbauer eigentlich einigermaßen beruhigt sein. Das Auslandsgeschäft – immerhin für den Löwenanteil am Gesamtauftragsvolumen verantwortlich – stieg im Vergleich zu 2014 um 6 Prozent auf 16,9 Milliarden Euro. Hauptverantwortlich für diesen Zuwachs waren u.a. Großaufträge aus Ägypten und Russland. Während die Aufträge aus den USA sich auf hohem Niveau stabilisieren und die Bestellungen aus China wie erwartet zurückgingen, scheint die Auftragsentwicklung im krisengeschüttelten Russland überraschend zu sein. Vor allem der Kraftwerksbau hat mit der Auftragszunahme um 18 % zu einem ordentlichen Ergebnis im Auslandgeschäft beigetragen. Mit 7,8 Milliarden Euro erreichten die Kraftwerks-Großaufträge den besten Wert seit 2009. 

 

Die inländische Nachfrage nach Anlagen ist im vergangenen Jahr dagegen recht deutlich zurückgegangen. Das Auftragsvolumen sank um mehr als eine Milliarde Euro. Mit 2,6 Milliarden Euro erreichte die Anlagennachfrage in Deutschland den niedrigsten Wert seit mehr als 30 Jahren. Als Hauptgrund für die wegbrechende Nachfrage sehen die Branchenkenner im Zusammenbruch des deutschen Marktes für den Neubau fossiler Kraftwerke. Allerdings haben auch Überkapazitäten, hohe Energiepreise und strenge Regulierungsvorschriften in den Prozess- und Grundstoffindustrien zum enttäuschen Ergebnis beigetragen. 

 

Angesichts der hohen Bedeutung des exportorientierten Maschinen- und Anlagenbaus wäre eine Fortsetzung des Zuwachs bei Exporten sehr bedeutend für die Branche. Die AGAB will aber von einer Euphorie nichts wissen und weist auf die Gefahren der instabilen Entwicklung der Weltkonjunktur hin. Während sich die Ölpreise längerfristig auf einem niedrigen Niveau einpendeln werden und dies rohstoffexportierende Länder wie Russland oder Saudi-Arabien  von größeren Investitionen abhalten dürfte, kommt bei Staaten im Nahen und Mittleren Osten eine schwierige politische Gemengelage hinzu. Vor komplexen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen stehen auch Länder wie Brasilien und die Türkei, aus denen im vergangenen Jahr viele Aufträge für deutsche Anlagenbauer kamen.  

 

Zu der größten Herausforderung für den vielleicht erfolgsverwöhnten deutschen Großanlagenbau zählt die AGAB die sich fortsetzende Internationalisierung in den Wertschöpfungsketten sowie die in vielen Ländern zu beobachtenden Änderungen bei förderpolitischen Ansätzen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein attraktives Finanzierungsmodell immer mehr zu einer Grundvoraussetzung für einen Vertragsabschluss wird. In diesem Zusammenhang forderte Jürgen Nowicki, Sprecher der AGAB des VDMA, eine Anpassung der deutschen Exportkreditversicherung. Dabei sollte die internationale Beschaffung von Leistungsbausteinen flexibler gestaltet sowie die Lieferumfänge ausländischer Tochtergesellschaften im Projektland eingebunden werden. Des Weiteren fordert Nowicki, der neben seiner Funktion in der AGAB auch Managing Director von  Linde Engineering ist, die Erhöhung der Auslandsanteile für Großprojekte von bislang höchstens 49 Prozent auf 75 Prozent. 

 

Der steigende Wettbewerbsdruck aus Asien sowie die stagnierende Nachfrage nach Anlagen hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, bei der die Auftraggeber immer mehr versuchen, Projektrisiken auf die EPC-Auftragnehmer zu übertragen. Anlagebauer müssen mitunter sogar durch Eigenkapitalbeteiligungen Finanzierungslücken beim Kunden schließen.  

 

Zu den weiteren Herausforderungen zählt laut der AGAB das Bestreben zahlreicher Kunden, Großaufträge in Engineering-, Beschaffungs- und Montageprojekte aufzuspalten, um dadurch Kosten zu senken. 

 

Kunden legen zudem immer mehr Wert auf Faktoren, die früher noch keine entscheidende Rolle gespielt haben. Dazu zählen neben der HSE-Expertise auch Anlagenservice und Anlagenbetrieb.  Anlagebauer tragen diesen Entwicklungen Rechnung und wollen ihr Servicegeschäft von derzeit 16 auf 20 Prozent im Jahre 2019 ausbauen. Von den anlagennahen Serviceaktivitäten soll letztlich auch die Forschungsarbeit der Unternehmen profitieren. 

 

Der AGAB-Lagebericht unterstreicht die Bedeutung der 4.0-Technologien für die Effizienzsteigerung der Unternehmen. Während die Chemie-EPCs die Digitalisierung ihrer Engineeringprozesse vorantreiben möchte, um auf diese Weise Kosten im Engineering, in der Logistik und auf der Baustelle zu senken, richten die Metallurgie-Anlagebauer die gesamte Wertschöpfungskette im Stahlwerks-Anlagenbau sowie den Anlagen-Betrieb am Industrie-4.0-Modell aus. 

 

Vor dem Hintergrund der bereits vorgenommenen Weichenstellungen hat die Branche einen optimistischen Ausblick auf 2016. Trotz Wirtschaftsrezession bei wichtigen Kunden und regionalen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten erwartet die AGAB keine Trendwende im Auftragseingang. Sollte die Nachfrage aus dem Iran, den USA und Südostasien anhalten, könnte gar mit steigenden Umsätzen gerechnet werden. 

 

HINWEIS: VDMA-Mitglieder können den kompletten Bericht gerne als PDF oder in gedruckter Form bei der Geschäftsstelle des VDMA beziehen. Kurze Mail an klaus.gottwald (at) vdma.org genügt.

 

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